Neuroendokrine Tumore (NET) sind seltene, komplexe maligne Tumore des Gastrointestinaltraktes (= Hauptteil des Verdauungsapparates, von der Speiseröhre bis zum Anus reichend), deren Inzidenz und Prävalenz in den letzten Jahrzehnten allerdings kontinuierlich gestiegen ist. Sie entwickeln sich aus hormonproduzierenden (endokrinen) Zellen. NET können entweder mit einem charakteristischen klinischen Syndrom einhergehen oder klinisch unauffällig sein und fallen erst durch ein verdrängendes Tumorwachstum bzw. als Zufallsbefunde auf.
Für diese Tumorenart gibt es noch zum Teil veraltete Bezeichnungen, die häufig synonym verwendet werden: Gastro-Entero-Pankreatische (GEP) Tumore, Karzinoid, neuroendokrine Neoplasie, APUDom (amine precursor uptake and decarboxylation).
Einteilung & Bewertung von NET
(1) … nach der Bösartigkeit (Malignität)
? wie schnell ist das Wachstum (Proliferation)
? wie schnell wird gesundes Gewebe zerstört (Infiltration)
? wie stark unterscheidet sich das Tumorgewebe vom ursprünglichen Ausgangsgewebe (Differenzierungsgrad)
? werden Tochtergeschwülste (Metastasen) gebildet
(2) … nach der Art des Hormons
Gastrin
Bildungsort: Magenschleimhaut
Funktion: steigert Magenbeweglichkeit, fördert Salzsäurebildung im Magen, steigert Sekretion von Gallen- und Bauchspeicheldrüsensekret
Glucagon
Bildungsort: Bauchspeicheldrüse
Funktion: hebt den Blutzuckerspiegel
Insulin
Bildungsort: Bauchspeicheldrüse
Funktion: senkt den Blutzuckerspiegel
Somatostatin
Bildungsort: D-Zellen im gesamten Verdauungstrakt
Funktion: hemmt die Sekretion von Magensaft und Bauchspeichel
Serotonin
Bildungsort: Gehirn
Funktion: Kontraktion der Blutgefäße, involviert in die Steuerung der Darmperistaltik; hat Einfluss auf: die Stimmungslage, den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Körpertemperatur, das Sexualverhalten, das Schmerzempfinden, die Nahrungsaufnahme etc.
VIP (vasoaktives intestinales Peptid)
(Verner-Morrison-Syndrom)
Bildungsort: Darmwand
Funktion: fördert die Durchblutung, erhöht den Muskeltonus
Zudem gibt es noch eine Reihe weiterer Hormone, die von manchen NET gebildet werden.
Die Symptomatik der Erkrankung hängt wesentlich vom jeweiligen Hormon ab.
(3) … nach Hormonaktivität
a) Funktionell AKTIVE Tumore
Sie machen ca. ein Drittel aller NET aus. Sie geben Hormone in die Blutbahn ab, die aufgrund der Hormonwirkung im Körper bestimmte charakteristische Symptome verursachen:
Gastrinom: Therapieresiste Therapieresistente, rezidivierende Geschwüre im Magen,
Dünndarm, Durchfälle, Fettstühle
Glucagonom: chronischer, wandernder Hautausschlag, milde Zuckerkrankheit
(Diabetes mellitus)
Insulinom: Unruhe, Schwitzen, Zittern, Heißhunger, Bewusstseinsstörungen,
Sehstörungen durch Unterzuckerung
Somatostatinom: milde Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), Gallensteine, Durchfälle,
Fettstühle
VIPom: wässrige Durchfälle, Flüssigkeitsmangel, Kaliummangel, Magensäuremangel
Karzinoid-Syndrom: anfallsartige Gesichtsrötung (Flush-Symptomatik), krampfartige
Bauchschmerzen, Durchfälle, Herz- und Atembeschwerden
Die Symptome und Beschwerden hängen davon ab, ob und welche Hormone vom Tumor freigesetzt werden bzw. wo der Tumor lokalisiert ist.
b) funktionell INAKTIVE Tumore
Sie geben keine Hormone in die Blutbahn ab, obwohl die Zellen ein bestimmtes Hormon enthalten. Dies betrifft mehr als die Hälfte der GEP-Tumore.
Funktionell inaktive Tumore äußern sich durch lokalisierte Beschwerden (vor Ort). Nicht selten kommt es zur Erstdiagnose als Zufallsbefund (z.B. Blockierung der Magen-Darm-Passage, Blutungen) oder sie werden erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, durch Verdrängung benachbarter Organe oder durch die Manifestation einer unspezifischen Symptomatik im Sinne einer metastasierten Erkrankung.
(4) … nach dem Entstehungsort
NET können in allen Organen entstehen, in denen neuroendokrine Zellen vorhanden sind. Die Einteilung nach dem Entstehungsort ist unter anderem für die Prognose bedeutsam.
Im Magen-Darm-Trakt entwickeln sich die meisten neuroendokrinen Tumore (ca. 70% der Fälle), allem voran in Magen, Dünndarm, Blinddarm, Dickdarm sowie in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Diese NET werden daher auch als neuroendokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems (GEP-NET) bezeichnet: Gastro (Magen) – Entero (Darm) – Pankreatisch (Bauchspeicheldrüse).
Seltener entstehen NET im Atemtrakt (ca. 25% der Fälle) oder anderswo (ca. 5%).
Diagnose
Bei Verdacht auf einen neuroendokrinen Tumor können, neben der allgemeinen Anamnese und klinischen Untersuchung, die labortechnische Bestimmung des Hormonspiegel, der Tumormarker, des pH-Wertes der Magensäure sowie der Blutzuckerwerte Hinweise auf eine Tumorerkrankung geben.
Darüber hinaus gehören bildgebende Verfahren wie Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie und Positronen-Emissions-Tomographie (PET)-Untersuchungen oder auch endoskopische Verfahren wie Magen-oder Darmspiegelung zur Diagnostik.
Letztendlich beweisend für das Vorliegen eines NET sind feingewebliche (histologische) Untersuchungen des Tumors nach einer Probenentnahme bzw. erfolgter Operation.
Therapie und Prognose
Wenn ein NET frühzeitig entdeckt wird und noch keine Metastasierung vorliegt, ist das primäre Ziel, den Tumor operativ komplett zu entfernen und die Erkrankung gilt als geheilt. Ist keine Operation möglich, kann mit Medikamenten in vielen Fällen eine deutliche Symptombesserung erreicht und das Tumorwachstum gehemmt werden. Gegebenenfalls kann auch hier die teilweise Entfernung von Tumor oder Metastasen sinnvoll sein, um die Symptome zu bessern.
TumorpatientInnen werden von VertreterInnenn verschiedener medizinischer Disziplinen (Chirurgie, Nuklearmedizin, Gastroenterologie, Endokrinologie, Onkologie) betreut. Aufgrund der Vielfältigkeit therapeutischer Maßnahmen sollten NET-PatientInnen bevorzugt in Zentren behandelt werden, die über eine hohe Kompetenz auf diesem Gebiet verfügen.
In manchen Fällen treten NET im Rahmen eines Multiple-Endokrine-Neoplasien-Syndroms (MEN) auf. Dann kann es sein, dass mehrere neuroendokrine Tumore gleichzeitig oder zeitlich versetzt auftreten. Wenn in der Familienanamnese schon häufiger Tumore hormonbildender Drüsen, wie z. B. Schilddrüse oder der Hirnanhangsdrüse aufgetreten sind, könnte dies auf ein MEN-Syndrom (erblich bedingt) hinweisen.
Literatur:
- Universitätsklinikum Heidelberg – Neuroendokrine Tumoren, 2016 – https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Neuroendokrine-Tumoren.4407.0.html
- MedizinInfo – Arten neuroendokriner Tumoren, 2016 – http://www.medizinfo.de/krebs/net/arten.shtml
- Rinke, A & Arnold, R.: Aktuelle Therapie neuroendokriner Tumoren, Arzneimitteltherapie, 32:2-13, 2014
- Novartis Patientenbroschüre – Neuroendokrine Tumoren, 2006 – http://www.net-shg.de/patientenbroschuere_gep_net_2006.pdf
- Initiative Leben mit NET – Patienteninformationswebsite, 2016 – https://www.leben-mit-net.de